STADT – RAUM – GESTALTUNG

In der Lehrveranstaltung „STADT – RAUM – GESTALTUNG“ stehen sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven zu Stadt, Raum und Urban Design im Mittelpunkt. Diese werden über gemeinsame Textlektüren erarbeitet, im Zuge von individuellen Stadtraumexpeditionen methodisch als Wahrnehmungswerkzeuge genutzt und gemeinsam mit den gesammelten Raumerfahrungen in konkrete Projektentwürfe für urbane Interventionen im Innenstadtraum der Landeshauptstadt Magdeburg überführt. Dabei dient das schauwerk. mit seiner innerstädtischen Lage als Ankerpunkt und Kreativlabor der Projekterarbeitungsprozesse sowie ihrer ergebnisbezogenen Präsentation.

Sommersemester 2023: Auf den zweiten Blick – Überraschendes, Verborgenes und Flüchtiges zum Nordabschnitt des Breiten Weges

Im Sommersemester 2023 haben sich Design-Studierende der Hochschule Magdeburg-Stendal ein halbes Jahr intensiv und aus verschiedenen Theorie- sowie Gestaltungsperspektiven im Rahmen des Seminares STADT – RAUM – GESTALTUNG mit dem Nordabschnitt des Breiten Weges beschäftigt, seine Besonderheiten rekonstruiert und über wirkungsvolle Anreicherungen vor Ort nachgedacht. Die gestalterischen Ergebnisse dieser forschenden Auseinandersetzung wurden am 23. September zur Magdeburger Kulturnacht 2023 im Rahmen einer interaktiven Ausstellung mit dem Titel „Auf den zweiten Blick – Überraschendes, Verborgenes und Flüchtiges zum Nordabschnitt des Breiten Weges“ der Stadtöffentlichkeit im schauwerk. vor- und zur Diskussion gestellt. Eine als Begleitmaterial zur Ausstellung entstandene Mappe bündelt die Ergebnisse der Stadtraumerkundungen. Ihr Inhalt bietet damit auch über die Kulturnacht hinaus Anregungen zum Weiterdenken und versteht sich als eine Einladung, den Nordabschnitt des Breiten Weges in Magdeburg mit anderen Augen zu betrachten.

Die Ausstellung setzte sich zusammen aus folgenden studentischen Projekten:

„Alternative Raumerfahrung“ von Alexander Wüstermann

Der Nordabschnitt des Breiten Weges wirkt in seiner Form als autofreier Raum mit seinen zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten und Freizeitangeboten nahezu idyllisch, jedoch ergibt sich ein anderer Eindruck, sobald man sich auf ihm fortbewegt. Was auf dem Papier wie ein fortschrittlicher Vorreiter einer autofreien Innenstadt wirkt, ist nicht selten die Quelle für Frust und Konflikte jener, welche der Nordabschnitt durch seine Form miteinander konfrontiert. Das Projekt „Alternative Raumwahrnehmung“ strebt an, das Konfliktpotenzial zwischen Radfahrenden und den übrigen Verkehrsteilnehmenden auf dem Nordabschnitt des Breiten Weges durch ein grafisches Wegesystem zu reduzieren. Dieses baut auf den theoretischen Überlegungen Otto Friedrich Bollnows zum hodologischen Raum auf und ermöglicht eine Umverteilung bzw. Aufteilung der Radfahrenden auf Nebenstraßen bzw. innerhalb des Raumes und damit eine Entschleunigung der Verkehrssituation, welche durch spielerische Objekte wie wellenförmige Rampen verstärkt werden kann. Die grafischen Elemente der Wegeführung geben Radfahrenden über spezifische Bildmetaphern intuitiv eine Idee der je eigenen Wegecharakteristik. So lässt sich je nach Bedürfnislage schnell die passende Route durch den bzw. parallel zum Breiten Weg ausfindig machen.

„Magdeburg im Ohr: Gestalten durch Hören“ von Dustin Fischer

Urbane Klanglandschaften sind vielschichtig. Mit der Installation „Magdeburg im Ohr“ werden die charakteristischen Klänge der Stadt Magdeburg an einen besonderen Ort, eine Klangbox mitten auf dem Nordabschnitt des Breiten Weges, gebracht. Die Klangbox besteht aus sorgfältig gefertigten Holzplatten und Holzlatten, umhüllt von zwei geflochtenen Stoffwänden, die nicht nur die Akustik veredeln, sondern auch zur Schalldämmung dienen. Eine Sitzgelegenheit lädt dazu ein, sich in entspannter Atmosphäre den Klängen hinzugeben. Von der oberen Seite baumelt ein nostalgisches Schnurtelefon, das an früher allgegenwärtige Telefonzellen erinnern soll, die es ermöglichten, Stimmen und Hintergrundgeräusche aus fernen Orten zu vernehmen. Im oberen Sockel verbirgt sich die Tontechnik, mithilfe derer die Klänge der Stadt als akustisches Stadtspektrum durch die Lautsprecher wie ein Regen aus Tönen auf die aufmerksam Lauschenden prasseln.

„Woher // Wohin: Installation zur Entwicklung des Breiten Weges“ von Swantje van de Ven

Der Breite Weg ist ein Ort voller Geschichten. Er steckt voller Erfahrungen, Erinnerungen, Eindrücke und Potenziale. Menschen jeden Alters nutzen ihn als Durchgangsraum, Treffort, Orientierungspunkt und Wohnraum. Ziel des Projektes ist es, diese narrative Vielschichtigkeit in eine audiovisuelle Spazierausstellung zu überführen, die einen inspirierenden Mehrwert für ein partizipatives Stadterleben bietet. Die entwickelten Installationsobjekte sind Wandelbilder und verknüpfen ortsbezogen zwei unterschiedliche Raummomente miteinander, die man durch die Bewegung entlang der Bilder nacheinander oder aber in Draufsicht parallel zueinander erleben kann. Für eine weitere sinnliche Dimension sorgen die laufenden Interviews an den Bildern. Sie stehen im Kontrast zum jeweiligen Bildmotiv und regen dazu an, sich auf die andere Seite der Darstellung zu bewegen, um den akustisch eröffneten Kontext zu erfassen. Auf diese Weise sollen die verschiedenen Geschichten und Perspektiven auf den Breiten Weg miteinander verflochten werden. Aus der Gemengelage an Raumerlebnissen kann somit nicht nur eine beinahe synchrone Erfahrbarkeit verschiedener Positionen generiert werden, sondern durch ihren collageartigen Zusammenschluss auch Raum für neue Ideen entstehen.

„shift“ von Valerius Weyer

Raum ist ein Ergebnis aus Aktionen von Individuen. Das gilt für den Stadtraum ebenso wie für das schauwerk. als gesellschaftlicher Raum auf dem Nordabschnitt des Breiten Weges im Zentrum Magdeburgs. Die interaktive Installation „shift“ soll den Einfluss menschlichen Tuns und konkreter Bewegungen auf den Straßenraum und das schauwerk. widerspiegeln. Auf diese Weise können Passant*innen auf dem Breiten Weg und Nutzer*innen des schauwerk. gleichzeitig erleben, welchen Einfluss sie selbst auf die Lebendigkeit beider Räume und diese wiederum gegenseitig aufeinander haben.

Der Breite Weg kann ebenso wie das schauwerk. nur entstehen und bestehen bleiben, wenn sich Menschen in ihm bewegen, vernetzen und in Austausch miteinander sind. Erst ihre Anwesenheit erfüllt beide Räume mit Leben und Bedeutung. In der Installation übernehmen die Betrachtenden deshalb innerhalb und außerhalb des schauwerk. die aktive Rolle eines Raumgestaltenden. Sie sind jeweils ein zentraler Bestandteil des Projektes und können vor dem Schaufenster von innen wie von außen Einfluss auf die Wahrnehmung des jeweils gegenüberliegenden Raumes nehmen. Mittels einer Kamera werden die Bewegungen gemessen und visuell in abstrakte Darstellungen übersetzt auf der Schaufensterscheibe abgebildet. Auch der Grad der Durchsichtigkeit variiert je nach Bewegungsintensität und macht deutlich, dass mit steigender Interaktion auch die beiden Räume füreinander besser sicht- und erlebbar sind.

WS 2023/2024: Projektarbeiten zur Veränderung sinnesbasierter Wahrnehmung des Breiten Weges durch angewandte experimentelle Gestaltung

Der Magdeburger Breite Weg war auch im Wintersemester 2023/2024 im Fokus des Kurses „STADT – RAUM – GESTALTUNG“ – diesmal jedoch in seiner gesamten Länge und Breite vom Hasselbachplatz im Süden bis zum Universitätsplatz im Norden. Nach ausgiebigen Stadterkundungen mit verschiedenen Raumtheorien und Wahrnehmungskonzepten im Gepäck konzentrierten sich die studentischen Arbeiten an sinnesbezogenen Auffälligkeiten, die die Qualität des Straßenraumes auf überraschende Weise spürbarer und seine Details mit künstlerisch-gestalterischen Mitteln erlebbarer machen sollten. Im Rahmen einer Projektpräsentation wurden die Ergebnisse dieser explorativen Stadtraumerforschung und kreativen Formatentwicklung im schauwerk. ausgestellt. Folgende Projekte sind entstanden:

„Pars pro toto“ von Maurice Weber

Der Magdeburger Straßenraum Breiter Weg besteht aus vielen unterschiedlichen Elementen, die für den Betrachtenden normalerweise im Zusammenspiel ihre atmosphärische Wirkung entfalten und den Ort als Gesamtensemble wiedererkennbar machen. Doch was passiert, wenn der Gesamteindruck konsequent gefiltert und nur einzelne Bestandteile zu Repräsentanten des Raumes gemacht werden? Das Projekt „Pars pro toto“ geht dieser Frage experimentell nach, indem Fotografien an drei Stellen des Breiten Weges mit unterschiedlichen Anteilen an Verkehr (Straßenbahnen, Autos, Radfahrer und Fußgänger), Beleuchtung bei Nacht sowie Begrünung (Bäume, Büsche, Grünstreifen) erstellt und anschließend entsprechend dieser drei unterschiedlichen Raumbestandteile systematisch gefiltert und bearbeitet wurden. In den Bildern integrierte Zitate aus wissenschaftlichen Texten zu den Themen Atmosphäre, räumliche Bewegung, Tag- und Nachtraum sowie Naturästhetik kommentieren das visuelle Arrangement. Die gemeinsame Ausstellung aller Bilder an einer Wand lässt wiederum selbst ein Ensemble entstehen, das mit der Teil-Ganzes-Beziehung konstruktiv spielt. Dabei wird deutlich, dass die Filterung des Gesamteindrucks des Breiten Weges in drei seiner Bestandteile verschiedene Perspektiven oder Arten des Beobachtens der gleichen Orte offenlegen kann. Es kann exemplarisch ergründet werden, wann und wodurch eine Person einen durch Auslassung und Unschärfe unkenntlich gemachten Raum wiedererkennen kann, welcher der drei Gesichtspunkte was für ein Raumbild erzeugt und welche Reaktionen es hervorruft. Zudem zeigt sich, inwiefern die entstandenen Raumbilder orts- oder eher fokusbezogen in ihrer atmosphärischen Wirkung vergleichbar sind. Auf diese Weise regt das Projekt als Wahrnehmungsexperiment dazu an, über Raumwirkungen nachzudenken und vermeintlich bekannte Orte in anderem Gewand zu erleben.

„MAGDEMEMO – Breiter Weg Edition“ von Mariele Goeldner

Häufig haben wir bereits geformte Meinungen zu den unterschiedlichen Orten eines Straßenraumes, gerade wenn wir diese regelmäßig aufsuchen oder einfach nur passieren. Durch das „MAGDEMEMO“ sollen diese nicht nur reflektiert und kommuniziert, sondern auch relativiert werden, um so spielerisch einen veränderten Blickwinkel auf den Breiten Weg zu ermöglichen, erneute Ausflüge dorthin anzuregen und den Straßenraum bewusster zu erleben. Inhaltlich umfasst das Projekt den gesamten Breiten Weg vom Hasselbachplatz bis zum Universitätsplatz. Physisch ist es jedoch nicht an den Breiten Weg gekoppelt, sondern als Gesellschaftsspiel – genauer: in Form eines Memory-Spiels – angelegt. Dabei setzt sich ein Memorypaar aus zwei verschiedenen Grafiken zusammen. Bei einem Teil des Paares handelt es sich um ein Foto eines Teilabschnittes des Breiten Weges. Das zweite Teil stellt seine grafische Verfremdung dar. Auf diese Weise werden die Nutzer*innen dazu angeregt, aktiv darüber zu rätseln, welche Teile ein Paar ergeben, um welche Orte es sich handeln könnte und wo auf dem Breiten Weg diese Orte zu finden sind. Zudem beinhaltet das Memory ein Spielbrett in Form einer Karte des Breiten Weges. Diese soll das Reflektieren der Orte und das korrekte Einordnen auf dem Breiten Weg ermöglichen und damit auch eine spätere ortsbezogene Orientierung im Straßenraum vereinfachen. Für die Auswahl der Orte auf dem Breiten Weg wurden u.a. theoretische Bezüge von Franz Hessel, Michel De Certeau und Martina Löw, aber auch persönliche Blickwinkel auf den Breiten Weg im Zuge diverser Stadtraumexpeditionen genutzt.

„HIDDEN PATTERNS“ von Nora Kiel

Das Thema des Projektes sind die optischen Eindrücke auf dem Breiten Weg in Magdeburg zwischen der Haltestelle Opernhaus und der Haltestelle Alter Markt. Im Fokus stehen Formen, Farben und Anordnungen, welche verborgen und im alltäglichen Leben unscheinbar für Fußgänger*innen sind. Das Ziel ist in erster Linie, diese nicht wahrgenommenen Elemente sichtbar und gleichzeitig visuell neu erlebbar zu machen. Das Ganze erfolgt über eine Visualisierung in der darstellenden Form des Musters. Als Ausgangsmaterial dienen Ausschnitte eigens im Straßenraum angefertigter Fotos, die durch Spiegeln aneinandergereiht werden. Die so entstandenen Reihen werden durch Kopieren vermehrt. Das Ergebnis sind Muster, die mit den konventionellen Sehgewohnheiten brechen und sie hierdurch verändern sollen. Vermeintlich Banales gewinnt plötzlich eine ästhetische Kraft, die den Betrachtenden dazu bewegen kann, im Alltäglichen das Potenzial für eine versteckte Formensprache zu entdecken und ihm so ein wenig mehr Interesse zu schenken. Neben den versteckten Mustern profaner Straßenmotive werden in den grafischen Werken die Ausgangselemente der Muster selbst auch versteckt. Interessant ist es dann zu überlegen, wo genau sich diese Elemente auf dem Breiten Weg befinden. Ferner inspiriert die Experimentierreihe dazu, anders auf seine Umgebung zu schauen und selbst auf die Suche nach interessanten Anordnungen, Kombinationen sowie überraschenden Details im Straßenraum zu gehen.

Projektinformationen:

Projektlaufzeit: SoSe 2023 – WS 23/24

Projektverantwortliche: Dr. Sandra Maria Geschke, Lehrende in den Studiengängen Industrial Design und Interaction Design am Institut für Industrial Design und wissenschaftliche Mitarbeiterin im q_d2-Lab des Projektes h²d²

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